Leben im ehemaligen Intermar Hotel
Eines muss man den Betreibern des Hotels Intermar in Malente lassen: Sie hatten ein verdammt gutes Gespür für den richtigen Ort, als sie den Betonriesen 1973 bauten und ein Jahr später eröffneten. Das zehn Stockwerke hohe Gebäude plus zwei Sockelgeschosse steht auf einer kleinen Landzunge direkt am Ufer des Dieksees. Von nirgendwo hat man einen schöneren Blick über den See mit den zwei Inseln. Zumindest wenn man im Gebäude ist, allen anderen versperrt der lange Riegel die Sicht und passt so gar nicht ins Bild vom beschaulichen Malente. – Eigentlich.
Lost Places im ehemaligen Intermar Hotel Malente
Das Intermar Hotel ist längst pleite. Lobby, Restaurants, Festsaal und Pool liegen verwaist danieder und undichte Vordächer nagen an der Substanz. Freunde von „Lost Places“ freuen sich über schaurig schöne Fotomotive und schleichen ums Haus. Lange waren sie die einzigen, die das Gebäude schätzten.
Das hat sich jedoch geändert, denn es gibt gar nicht so wenige Menschen, die sich angezogen fühlen von dem Betonklotz am See. Oder ihn zumindest irgendwie interessant finden. Ich gehöre zum Beispiel dazu. Bereits vor über 20 Jahren, als das Hotel noch in Betrieb, aber schon im Niedergang war, spazierte ich dort während eines Wochenendausflugs zufällig einmal vorbeiund dachte: „Bäh, wie hässlich“, drehte mich nochmals um und dachte dann: „Hat auch was.“ Wenn man nämlich genau hinschaut, erinnert der Bau mit den drei Sonnendecks an einen Ozeandampfer. Ein Kreuzfahrtschiff zwischen Hügeln und Seen. Fitzcarraldo in Norddeutschland?
Dem Bau kommt auch die Wiederentdeckung des „Brutalismus“ zu Gute. Typisch für diese Architekturform der 1960er bis 1980er Jahre war der radikale, pure Einsatz von Sichtbeton sowie monumentale, eigensinnige Entwürfe. Das Intermar Hotel stammt aus dieser ästhetischen Strömung, auch wenn man es mit Waschbeton-Fassaden und Farbe versuchte etwas zu dekorieren.
Vor ein paar Jahren, als mich die Sehnsucht nach Natur und der Lärm der Stadt von einer Bleibe auf dem Land träumen ließ, fiel mir der „Hat-auch-was-Dampfer“ wieder ein. Ich hatte ihn als Großformat in meinem Gedächtnis fest verankert. Meine Recherche ergab gleich mehrere Treffer, also freie Wohnungen im Ex-Hotel Intermar. Aber wie denn das?
Das Intermar bestand neben Hotelzimmern in den ersten zwei Etagen auf acht Geschossen vor allem aus 50 Quadratmeter großen, völlig identisch eingerichteten Wohnungen, die nach wechselvollen und verwirrenden Details nun Einzelpersonen gehören. Mit der Insolvenz des Hotelbereichs haben sie nichts zu tun, auch wenn sie die Folgen auf die ein oder andere Art mittragen müssen.
Nach einer Totalrenovierung wohne ich jetzt in einer dieser Wohnungen, schaue aus dem Riegel heraus direkt aufs Wasser. Und bin glücklich.
Wenn man erstmal drin ist, strahlen die Wohnungen mit dem Licht um die Wette. Sie haben einfach eine gute, einladende Atmosphäre und der Blick zur Seeseite ist nicht zu toppen.
Zuvor jedoch muss man zu den Aufzügen, die sich in der schummrigen Eingangshalle befinden. Die Rezeption mit völlig erhaltenem Tresen liegt als großes schwarzen Loch gleich daneben. Neuerdings wird sie von einem Sichtschutz verdeckt. Jedem Besucher fällt sofort der Horrorfilm „The Shining“ von Stanley Kubrick ein, und ein leichtes Gruseln stellt sich ein.
Leider, leider gerät der ehemalige Hotelbereich immer wieder an Investoren, die kaufen und anschließend nichts machen außer Versprechungen oder neue Insolvenzen. Derweil warten die beiden Sockelgeschosse auf Grundsanierung und das Schwimmbad dient nur noch als Wasserbecken für die Sprinkleranlage der Tiefgarage. Ernsthaft! Dabei gab es durchaus goldene Zeiten, Prominenz und Schlachten am kalten Büffet.
Im ehemaligen Intermar Hotel kann man zurückgezogen und anonym wohnen. Zwei liebe Nachbarn haben dennoch ihre Türen geöffnet und zeigen, wie sie ihre Apartment eingerichtet haben. Im Gebäude selbst sorgen zwei Hausmeister für Ordnung, wenn auch nicht immer. Sie wissen alles. Und sie kümmern sich darum, dass es jedes Frühjahr voll wird, zumindest in der Tiefgarage. Pünktlich am 1. April, und das ist kein Scherz, wird eine Einflugschleuse für Schwalben geöffnet. Per Naturschutzgesetz haben sie ein Anrecht auf Nistplätze im Kellergeschoss. – Die Vögel lieben das Haus uneingeschränkt.