Into the wild
Wieviel Eichhörnchen muss man essen, um satt zu werden? So etwas und vieles andere lernt man beim Survival Wochenendkurs von Detlef Kamerau in Malente. Er ist einer der wenigen hauptberuflichen Survival Trainer Deutschlands.
Ich bin dabei und erfahre während der Wanderung von Malente Richtung Trainingscamp, was ich sowie 23 andere Kursteilnehmer zum Überleben brauchen, falls man mit dem Flugzeug in der Wildnis abstürzt, die Bahn nach Hamburg mal wieder auf der Strecke bleibt oder als Selbstversorger leben möchte.
Survival in Malente
Um meinen Haushalt von 3000 Kalorien in einer Ausnahmesituation decken zu können, Supermarkt und Kühlschrank fern, müsste ich etwa 25 Eichhörnen verzehren- Undzwar täglich. Diese müsste ich zuvor selbstverständlich jagen. Als fast Vegetarierin könnte ich alternativ auch 10 Kilo Blattwerk zu mir nehmen, wie etwa Birkenblätter auf Birkenrinde an Knoblauchrauke.
Auf der zweistündigen Wanderung, während Survival-Trainer Detlef unermüdlich redet, lerne ich, was am Wegesrand wächst und uns für die nächsten 24 Stunden noch nützlich sein könnte. Der Schachtelhalm beispielsweise eignet sich hervorragend zum Putzen, mit dem Blättersaft des Spitzwegerichs kann man kleine Wunden desinfizieren, seine braunen Blüten kann man essen. Sie schmecken wie Pilze. Echt lecker, werde ich jetzt öfter zubereiten.
Gut zu wissen, denn ohne Beauty Case, Schlafanzug und weitere Zeugnisse der Zivilisation verbringen wir eine Nacht unter freiem Himmel auf einem Wald- und Wiesenstück oberhalb des Dieksees zwischen Malente und Timmdorf. Unterkünfte, Schlafgelegenheiten und Feuerstellen müssen erst noch errichtet werden.
Detlef hat extrem gute Laune und ein Dauerlächeln im Gesicht, was ich zunächst für unecht halte. Zehn Stunden später jedoch, Detlef redet immer noch und lächelt, weiß ich, der ist tatsächlich so. Derweil bin ich hervorragend eingeführt in nützliche Kräuterkunde, habe gelernt, auf wieviele Arten sich Feuer entfachen lässt, wie ich lediglich mit einem Messer Essen zubereite und mir ein regenfestes Lager baue. Dank Detlefs Wissensvermittlung in Wort und Tat. Normalerweise schalte ich bei längeren Vorträgen ab. Der Überlebenstrainer hat jedoch Entertainer-Qualitäten. Er spricht mit ganzem Körper und ist trotz aller Disziplin – er war mal Soldat – lustig und sehr herzlich. Meine Aufmerksamkeitsspanne steigt um 1000 Prozent.
Im Freien schlafen - oder auch nicht
Nach dem selbst zubereiteten Abendessen am Lagerfeuer mit Wildkräutersuppe und einem Mini-Stückchen Fleisch aus dem Supermarkt (wurde von seiner Frau Nicole angeliefert) kommen wir zum Höhepunkt des Survivals: der Nachtruhe.
Dabei können die Kursteilnehmer zwischen verschiedenen Komfortangeboten wählen. Zum Beispiel:
- 1. Modell Schlafsack im selbstgebauten Unterschlupf
- 2. Modell ohne Schlafsack, aber mit Lagerfeuer im selbstgebauten Unterschlupf
- 3. Modell selbstgebaute Matratze aus Holz und Heu und mit Heu ausgepolsterter Kleidung zur Wärmeisolierung
Ich entscheide mich für einen Viererunterschlupf, den ich mit drei Jungs während des langen Tages eigenhändig gebaut habe, werfe mich auf mein Heupolster, entspanne, weil meine Feuerwache erst um 04:45 Uhr beginnt, und schlafe auf der Stelle ein. – Zumindest für ein paar Minuten. Danach bin ich im Neandertalmodus, beobachte das Funkensprühen, fröstele, lausche dem Schnarchen eines Homosapiens, den Geräuschen des Waldes, meinem Magenknurren und krieg kein Auge zu. Um 03:30 zwitschern die ersten Vögel. Ich gebe auf, das war’s mit der Nacht.
Ich krabbele auf dem Waldboden aus der Hütte und sehe dem Morgen entgegen. Wie großartig ist das denn? Die Sonne naht, der Wald singt, ich könnte hüpfen vor Glück. Stattdessen geht’s zurück in die Hütte, denn jetzt bin ich dran mit Feuerwache.
Für zweieinhalb Stunden starre ich ins Feuer und denke: Wow, ich habe es tatsächlich geschafft. Into the wild. Bald aber kreisen meine Gedanken nur noch um Nahrungsbeschaffung. Ein Brennesselsüppchen oder doch lieber ein paar Eichhörnchen? Ich träume stattdessen von Milchkaffee, Rührei und einem kuschligen Bett.